Kurische Nehrung - Geschichtliches

Auszüge aus dem Buch "Elchwald, Land, Leute, Jagd" von Hans Kramer, Jagd- und Kulturverlag, Sulzberg/Allgäu, 1985

 

"Bald hinter Cranz sperrte ein Schlagbaum die Nehrungsstraße; sie war für Kraftfahrzeuge im allgemeinen gesperrt. Nur bei Dienstfahrten durfte sie mit Ausweis auch im Auto befahren werden. Der Weg durch die Plantage und die weiteren ziemlich einförmigen Nadelholzbestände bot wenig Besonderes...

Der Weg führte durch das alte Fischerdorf Sarkau, bekannt durch seine "Flundern", die, meist noch auf primitive Art in Erdgruben geräuchert, ebenso wie der Rauchaal in Königsberg und dem nahen Cranz als beliebte Delikatesse verkauft wurden. Auch in Sarkau war oft mit Sandverwehungen gekämpft worden. Zur Wanderdünenbildung ist es aber in diesem südlichen Teil der Nehrung nie gekommen. Dagegen hatte an der noch heute schmalsten Stelle der Nehrung... oft und erbittert gegen die Überflutung der See und drohende Durchbrüche gerungen werden müssen...

Durch den Wald schimmerten bereits die "Weißen Berge"; hier begann der südliche Teil der "Deutschen Wüste", jene 12 Kilometer lange Wanderdünenkette, die einst die Dörfer Lattenwalde und Kunzen unter sich begrub. Bis zu 50 Meter Höhe erheben sich die leuchtenden Sandberge, die der Wind aufgetürmt hat und vor sich hertreibt: ein überwältigender, fast schaudererregender Anblick. Die Straße führte durch das Gebiet der "Palwe". Bruchartige Senken mit Weidengebüsch, kleine Erhebungen um und über alten Waldboden- und Baumresten, die "Kupsten", Kriechweiden, Gruppen von Birken- und Kiefernanflug, dazu eine Flora eigener Art gaben der Palwe ihr Gepräge. Und dann erhob sich vor uns gewaltig die Düne...

Herrlich war der Blick vom Dünenkamme, nach Westen auf das Meer, nach Osten über den steilen Absturz auf das Haff und nach Norden und Süden den schier endlosen Zug der Sandberge entlang. Mit der Tageszeit wechselte die Beleuchtung, wechselten die Farben und Schatten... Wenn sich dann abends im Westen die Wolkengebirge türmten und die sinkende Sonne die Dünen in rötliche, lila und blaue Tinten tauchte, so stand man überwältigt vor diesem Naturschauspiel...

Groß und schön war diese Wüstenlandschaft, aber auch bedrückend, und der empfindsame Wanderer mochte aufatmen, wenn ihn bei Rossitten wieder der Wald aufnahm, die Rossittener Plantage...

In Rossitten gab es eine Überraschung: "Wüste" und Wald verlassend, betrat man plötzlich eine Kulturlandschaft mit Wiesen und Weiden, mit fruchtbaren Äckern und Bauernhöfen... Von weitem schon hörte man im Frühjahr den schrillen Schrei zahlloser Möwen, die einen großen Teich, das Möwenbruch, als Brutraum erkoren hatten und hier zusammen mit anderen Wasservögeln Schutz genossen...

Die Umgebung Rossittens war abwechslungsreich und reizvoll. Am Haffrande entlang, vorbei am Weißen und am erst 1906 bis 1907 aufgeforsteten Schwarzen Berge gelangte man zur sehr nassen Vogelwiese, dem Weideland Rossittens. Schon vorher konnte man bei günstigem Wetter Segelflugzeuge bewundern, die lautlos und anmutig ihre Bahn

 

am Himmel zogen. Die Dünen des Predin- und des Pawelberges mit der anschließendem Vogelwiese boten ein ideales Gelände für Versuchsflüge... Viele Segelflugrekorde sind hier aufgestellt worden.

Zur See führten von Rossitten zahlreiche Wege durch die recht umfangreiche Plantage, die aber nur in der Nähe Rossittens alten Bestand aufwies. Mitten in ihr erheben sich in einer Länge von fast zwei Kilometern und einer Breite von durchschnittlich 400 Metern die bis zum Jahre 1890 aufgeforsteten Bruchberge, ein bis zu 48 Meter hoher Dünenzug, der die Rossittener Feldmark bedrohte. Um ihre Festlegung hat sich der Königsberger Oberforstmeister Müller besondere Verdienste erworben, und ein Findling auf "Müllers Höh" hielt das Gedenken an ihn wach. Der Blick von der Höhe der Bruchberge war besonders schön: Bei klarer Sicht sah man im Südwesten die Umrisse der Samlandküste, nach Süden überblickte man die Lattenwalder Dünenkette, im Westen breitete sich die Ostsee zu Füßen des Beschauers aus, und nach Osten wanderte der Blick über die Rossittener Oase, das sich nach Osten erstreckende Möwenbruch, Wiesen und Felder und das Dorf auf das weite Haff. Nach Nordosten schließlich konnte das Auge das lange Band der Nehrung bis nach Schwarzort hin verfolgen. - Auch wir wollen nun die Poststraße weiter nach Nordosten entlang fahren. Mit dem Predin-Berg, genannt nach dem bereits um 1700 von der Düne verschütteten Dörfchen Preeden, begann eine Kette von hohen Dünen...; sie endete westlich des Dorfes Pillkoppen mit dem Petschberg, der das Dorf, das schon viermal der Düne hatte weichen müssen, schwer bedrohte. Trotz hoher Kosten entschloß sich der Staat auf Bitten der Pillkoppener zur Festlegung der Düne, die unter Ephas Leitung bis 1892 bewältigt wurde.

Auf "Ephas Höhe", dem 61 Meter hohen Gipfel des Petschberges, hielt ein Gedenkstein die Erinnerung an den unermüdlichen Bezwinger der Düne fest... Pillkoppen hatte wohl die wechselvollste Geschichte aller Nehrungsdörfer. Mit seinen alten, hübschen Fischerhäusern, den geschnitzten Pferdeköpfen am Giebel, seinen kleinen bunten Gärten und grünen Wiesen machte es einen besonders freundlichen Eindruck. Durch das Dünentor hatte der Wind die vom Sande überdeckte Flur wieder freigelegt, so daß die Pillkoppener, deren Dorfstätte Neu-Pillkoppen (am Hirschbudenberg) in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts verschüttet war, wieder an den Haffrand der zweiten Dorflage zurückkehren konnten. Jetzt liegt das Dörfchen im Schutze des aufgeforsteten Petschenberges sicher und geschützt. Die Sandmassen, die einst die Dorfmark bedeckten, hatte der Caspalegehaken aufgefangen. 

Gleich nördlich Pillkoppen beginnt die 8 km lange, besonders eindrucksvolle Wanderdünenkette, die mit die höchsten Erhebungen in sich vereinigt, den Lepas Kalns, den Caspalege-, den Hirschbuden- und den Rotenwald-Berg, die Hohe Düne und den Parniddener Berg. Nahe der höchsten Erhebung (von 63 Metern) querte von 1920 bis 1939 die unnatürliche Grenze zwischen dem Samland und dem künstlichen Gebilde des "Memellandes" (früher Regierungsbezirksgrenze Königsberg/Gumbinnen) die Kurische Nehrung."   

Zusätzliche Informationen über das Buch "Elchwald, Land, Leute, Jagd" von Hans Kramer finden Sie hier

 

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