Ostpreussische Moorkolonien und das Grosse Moosbruch - Geschichtliches

Auszüge aus dem Buch "Land und Leute – Monographien zur Erdkunde - Die Norddeutschen Moore von Bruno Tacke und Bernhard Lehmann" von 1912 Bielefeld und Leipzig, erschienen im Verlag von Velhagen & Klasing

"Die wenigen die in das Ostland reisen, sehen sicher die Marienburg, das imponierende Denkmal deutscher Kolonisationstätigkeit. Sie gehen auch nach Danzig und begrüßen dort in den traulichen Straßen mit dem malerischen Beschlägen den ehrwürdigen Dom zur St. Marien. Seltener schon verirren sich Westdeutsche nach Königsberg, zur Flutumtosten Bernsteinküste des Samlandes und zu den tiefernsten, ja schwermütigen Seen Masurens. Naturfreunden sei der dringende Rat gegeben, zwei weitere Tage zu opfern und zwei so einzigartige Gebiete zu durchstreifen, wie sie auf deutscher Erde nicht wieder zu finden sind, das Zehlaubruch und das Große Moorbruch...

Unser zweites Wandergebiet, das Große Moosbruch, liegt nördlich des Zehlaubruchs. Die ihn umgebenden Wälder reichen ununterbrochen bis zum sumpfigen Ufer des fernen Haffs... Nach dem Bourtanger Moor ist es die größte zusammenhängende Hochmoorfläche Deutschlands. Schon frühzeitig hat man versucht, in dieser Bruchwildnis Kolonisten anzusiedeln. 1756 wurde die älteste Kolonie, Alt-Heidlauken, gegründet. Auch Friedrich der Große, dessen nimmermüder Falkenblick überallhin spähte, hat in diesen Gebieten Kulturversuche begonnen. Später hat die Forstverwaltung, die dringen ein ansässiges, bodenständiges Arbeitermaterial brauchte, sich energisch der Kolonisation angenommen. Die Vorbedingungen für eine Besiedelung dieser Brücher und Hochmoore waren allerdings ganz andere als im Westen. Die wegelosen Sümpfe waren nicht wie dort von übervölkerten, landhungrigen Dörfern umgeben. Ungeheure, undurchdringliche Bruchwälder hinderten hier jede Besiedlung. Nur die zahllosen, weit verzweigten und schiffbaren Flussarme, die allenthalben diese Moorgebiete durchziehen, konnten als Verkehrswege in Frage kommen. Nahe Absatzgebiete für landwirtschaftliche Erzeugnisse gibt es nicht. Torf wird überhaupt nicht gestochen, dazu ist das Holz zu billig. Das alles erschwerte die Besiedlung dieser Moore. Andererseits war aber die bodenständige, litauische Bevölkerung mit ihrer Anspruchslosigkeit und ihrem heißen Drang, in der Waldheimat zu bleiben, ein vorzügliches Kolonistenmaterial. Dazu konnte man den Neusiedlern außer dem futterlosen Hochmoor ein Stück der grasbestandenen Überschwemmungswiesen längs der vielen Flussarme als Pachtland überlassen. Die Winterarbeit in den nahen Bruchwäldern brachte bar Geld in das Haus. Piplin an dem zum Nemonienstrom gehenden kanalisierten Timber ist einer der vielen Seehäfen des Moosbruchs. Aus dem kleinen Bach, der uns den Weg entlang begleitet, wird dort auf einmal eintiefer, von Seedampfern befahrener Strom. Das ist typisch für Litauen. Halb sind es Ströme, halb Auskolkungen des Haffs mit enormen Wasserflächen. Mächtige, unabsehbare Stapel Wellholz für die Papierfabrikation, das Hauptausfuhrprodukt der umgebenden Wälder, harren der Verladung. Vor uns liegt das Große Moorbruch.

Eine sich endlos dehnende Wiesenfläche, durch die in mäandrischen Windungen der Fluß dahinschleicht wird von schwarz-grünen Wäldern reglos umschlossen. Am fernen Horizont, da wo als feine Spitze der zierliche Kirchturm von Alt Sussemilken über die blaue Waldwand ragt und wo eine graue Rauchsäule bewohnte Stätte verrät, liegt unser Wanderziel. Die harmlos erscheinenden Moorwiesen längs des Flusses sind nicht zu begehen. Auf weiten Umwegen müssen wir auf den umgebenden Bruchwald. Dort führen uns schmale Jägersteige sicher aber feucht durch die lichtlose Waldwildnis. Bis zu 20 m und höher recken sich da die Schwarzerlen aus blauschwarzem Morast. An höheren Stellen gesellen sich ihnen Fichten, Kiefern, Pappeln, Birken, Eichen und Haselnuß zu.

  Die Moose am Boden fehlen ganz, die Vegetation des Waldbodens ist infolge Lichtmangels recht kümmerlich. An offenen, an breiten Gräben und an den trüben verwachsenen Kolken entwickelt sich dagegen eine überaus üppige Pflanzenwelt. Rohrhalme, Riedgräser, Schwanenblumen, Pfeilkraut und Calla, Ziest und Ampfer gedeihen da in buntem Verein. So eine ostpreußische Moorkolonie sieht doch ganz wesentlich anders aus, als unsere westdeutschen Moordörfer. Nur vom Wasser aus waren ehedem die einzelnen Höfe zu erreichen. Wege gab es bis in die Neuzeit hinein wenige. Darum liegen die Moorhöfe nicht so wie an eine Perlenschnur gereiht wie im Westen. Im Zickzack, je nachdem das Überschwemmungsgebiet des Stromes sich weitet oder verengert liegen unübersichtlich die Gütchen. Auch sind hier die Stellen viel, viel kleiner. Die Waldarbeit soll als zwingende Notwendigkeit für viele bleiben. Eigenartig sind die Häuser und die Gehöfte, so ganz verschieden von niedersächsischen und friesischen Typus. Wohnhaus, Ställe und Schuppen stehen als kleine Gebäude regellos umher. Kein Gedanken an die imponierende Wirkung des mächtigen Niedersachsenhauses oder des friesischen Haubergs. Typisch für die Gehöfte und Moorwiesen davor sind auch die vielen, großen Heu- und Streuhaufen auf hölzernem Unterbau. Erst wenn im Winter der Frost die sumpfigen Wiesen begehbar macht, wird das Futter ans Haus herangeholt. Anderseits begegnet man aber in diesen östlichen Kolonien auch Zügen, die an den Westen erinnern. Auch hier säumen weiße Birken die Moorwege, die trübe Einsamkeit durch ihre Farben belebend, „als wär daran aus heller Nacht Ein Mondlicht blieben hangen.“
 
Auch hier tragen die Leute bei ihrer Arbeit im Moor große klappernde Holzschuhe, die unseren recht ähnlich an Form und Umfang sind. Auf einem der breiten Gräben, die sich allenthalben vom Nemonien in das Moor hineinziehen, liegt ein seltsam Gebäude. Ein Schiff ist es , aber beileide kein „glückhaft Schiff“. Als Gefängnis dient es und den befremdenden Namen „die Hoffnung“ führt es. Die Fenster sind dicht vergittert. Also auch in diesen Mooren arbeiten Strafgefangene jahraus, jahrein an der Beseitigung des Ödlandes. Lange schauen wir dann dem Ortsvorsteher der benachbarten, jüngeren Kolonie Franzrode zu, wie er mit geschickten Händen ein Moorboot zimmert. Gut lässt es sich mit dem klugen Manne plaudern über alles , was wir gesehen haben, was wir noch sehen wollen und was uns sonst interessiert... Trotz guter Straßen ist auch heute noch der Wasserweg n diesen Kolonien der beliebteste. Kahn auf Kahn, hoch mit duftendem Heu beladen, kommt in frischem Winde dahergesegelt. Die Wiesen längs des Stromes sind für die Kolonisten sehr wertvoll. Hier und da kommt es vor, dass bei großen Überschwemmungen das Flußwasser unter das Moor dringt – ganz wie im schwimmenden Lande zu Waakhusen bei Worpswede – und dass ganze Stücke der Moorwiesen mit der Strömung davonziehen wollen. In aller Eile eingerammte Pfähle und dicke Taue halten dann den gefährdeten Besitz. Auf bequemer Fähre setzen wir über den breiten Nemonienstrom und dringen jenseits des Flußwiesengürtels in Hochmoorgebiete ein, die zum Teil erst ganz neuerdings der Besiedlung erschlossen worden sind...

Überall im düsteren Hochmoor, selbst weit entfernt von Kanälen und Wegen, sieht man neue, grellrote Ziegeldächer leuchten... Über kurz oder lang kommt ein Neubauer mit scharfem Beil und beseitigt sie wie lästiges Unkraut. An die Stelle der armseligen Kiefernstubben treten dann nach wenigen Jahren harter Kulturarbeit goldschimmernde Getreidefelder und grüne frische Viehweiden..."

Interessante Links zum Thema:

"Erinnerungen an Ostpreussen" von Karl-Heinz Darweger

 

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