Elchwald und Niederung, Elchniederung zwischen dem  Kurischen Haff und dem Memelstrome - Geschichtliches

1. Aus der "Litauischen Geschichten" von Ernst Wichert:

"Es ist ein gar merkwürdiger Strich Landes, der sich, entlang dem kurischen Haff, zwischen den Ausflüssen des mächtigen Memelstromes - bekanntlich in dem benachbarten Russland Niemen geheissen - dahinzieht.

Der Nemonien, die Gilge, die Russ sind selbst breite Ströme, und durch das Flachland zwischen ihnen ziehen sich in grosser Zahl andere Wasserläufe, theils ebenfalls in das Haff einmündend, theils jene mieinander verbindend, theils mit breitem Anlaufe sich abzweigend und plötzlich in einem Schilfsee stagnierend. Geradlinige Kanäle von Menschenhand zur Beseitigung der Gefahren der Schiffahrt auf dem oft stürmischen kurischen Haff angelegt, schneiden sie in der Richtung nach Norden. Wassergräben, für den Sprung eines kräftigen Mannes oft nicht zu breit, ziehen sich gleich langen Fäden eines Spinnennetzes überall in die Wiesen und Wälder hinein.

Wer von einem Ort zum anderen will, besteigt eines der langen Boote mit flachem Boden, die in der Nähe jedes Hauses angekettet oder halb auf` das Land gezogen liegen, und die Häuser selbst stehen vielfach auf frei vortretenden Pfahlrosten, die sie gegen die Überschwemmung und den 

  Eisgang im Frühjahr zu schützen haben. Was da von Baumschmuck in der Nähe der Höfe und entlang den Dämmen sichtbar wird, ist ein Gemisch von Weiden, Pappeln und Ellern, besonders die Weiden gedeihen gut und wachsen rasch zu mächtigen Bäumen mit zierlich gestalteten Laubkronen auf, zwischen denen das zackige Geäste sichtbar bleibt. Auch an Birken mit ihrem beweglichen Behang an den weissen Zweigen mangelt es nicht.

Hinter den Häuschen liegen die Kartoffel- und Zwiebelgärten. Tiefe Rinnen sondern die schwarzen Beete schachbrettartig von einander ab, und an der tiefsten Stelle fehlt nie die Schöpfvorrichtung, durch welche das sich überflüssig ansammelnde Wasser in die höher gelegenen Röhren unter dem Damme geworfen wird. Weiter zurück ziehen sich meilenweit die grünen Wiesen oder die braunen Moorbrüche hin, von denen noch zu reden sein wird, und in einiger Entfernung, zu beiden Seiten der Flüsse, schliesst der Wald die Aussicht ab, oft nur ein dichtes Gestrüpp von Ellern auf Sumpfgrund, nordwärts aber sich ausbreitend zu dem grossen Ibenhorster Forst, in dem noch ein kleiner Stamm des Elchwildes haust, das manchmal von vornehmen Jägern aufgesucht wird."

2. Aus der Reportage über "Expeditionsreise" nach Nordostpreussen vom Berliner Journalist, Otto Glagau, aus dem Jahre 1860:

"Schon ein Blick auf die Landkarte zeigt ein Strom-Geäder, so verworren, dass es geradezu unentwirrbar erscheint; und wirklich haben selbst die Eingeborenen Mühe, die Verbindung dieses Wassernetzes kennen zu lernen. Bald trifft man reissende Stromgefälle, gegen welche die Fahrzeuge bisweilen kaum heraufgezogen werden können, bald Kanäle mit todtem Wasser; bald Stromarme, die sich wieder in Afterarme verwandeln, bald Afterarme, die sich umgekehrt in wahre Ströme umwandeln und dem Hauptarme das nöthige Wasser entziehen; bald Kreuz- und Querarme, die weder zum Steigen noch zum Fallen des Wasserstandes in der eigentlichen Fahrstrasse etwas beitragen. Hier hat man einen Zufluss, dort einen Abfluss, der sich aber durch die Aufschwellung des Haffs morgen wieder in einen Zufluss verwandelt. Der Fremde gebe es nur auf, sich in diesem Strom-Wirrwarr orientieren zu wollen: jede Wasserstrasse hat noch ein Dutzend verschiedener deutscher und litauischer Benennungen, die ebenso das Ohr wie jene das Auge verwirren. Vor zwei Jahrhunderten war die Niederung noch ein wüster unwirthbarer Bruch, der Aufenthalt wilder Thiere; jetzt gehört sie zu den fruchtbarsten und wohlhabensten Gegenden der Monarchie... Jedoch ist die Eindeichung der Flussarme noch heute nur eine theilweise und mangelhafte, die das Delta durchschneidenden zahllosen Gräben und Kanäle   vermögen doch nicht eine gehörige Entwässerung durchzuführen, und seine Basis ist völlig uneingedeicht und den Fluten des Haffes preisgegeben... Auf die regelmässigen Überschwemmungen sind die Niederunger vorbereitet und zu ihrem Empfange lange vorher gerüstet. Sie halten Heerschau über die Deiche, stellen auch während der Nacht Wachen aus, die Fakkeln in den Händen halten und einander Signale zurufen. Mit langen Stangen und eisernen Haken bewaffnet, stehen sie Mann an Mann auf ihren Mauern, den Dämmen, und erwarten klopfenden Herzens den furchtbaren Gast, der schon auf meilenweite seine Ankunft mit Donnergetös verkündet. Und nun beginnt das Ringen mit der empörten Fluth, mit den treibenden Eisbergen, die sich festsetzen und auf die Dämme schieben wollen. Sie werden mit Stangen vom Ufer abgehalten oder mit den Haken zerschlagen und wieder in Bewegung gesetzt; Strauch, Mist, Erde, Pfähle, Bretter und Stroh liegen bereit, um jeden Dammriss sofort wieder zu verstopfen und dem gierig nachstürzendem Wasser den Weg zu versperren. Aber alle Angst, Mühe und Kosten, die der Durchgang des furchtbaren Gastes verursacht, werden reichlich aufgewogen durch das Geschenk von Schmutz und Schlamm, welches er zurücklässt."

Sonstiges zur Geschichte des Elchwaldes und der Niederung: Ostpreussische Moorkolonien und das Grosse Moosbruch, das Buch von Hans Kramer "Elchwald, Land, Leute, Jagd". 

Interessante Links zum Thema:

"Erinnerungen an Ostpreussen" von Karl-Heinz Darweger

 

Zur Startseite